“Ich bin 23 Jahre alt und Studentin der Rechtswissenschaften.
Am ersten Mai 2021 erfuhr ich von einer Freundin von der MayDay Demonstration. Da ich zufällig mit einer anderen Freundin in Wien war, beschloss ich mir die Redebeiträge der Endkundgebung im Sigmund-Freud-Park anzuhören. Als wir dort ankamen war die Situation schon am eskalieren, da ein Banner auf ein Werbeplakat gehängt wurde und die Polizei die Verantwortlichen verhaftete.”
Als sie die Festgenommenen abtransportieren wollten, sah ich, dass sich großer Unmut seitens der KundgebungsteilnehmerInnen ausbreitete und auch eine Dose in Richtung Polizei geworfen wurde. Daraufhin schwärmte die Polizei aus und sie begannen Leute zu schlagen, festzunehmen und mit Pfefferspray zu besprühen. Ich wollte dort so schnell wie möglich weg, zwängte mich durch eine schmale Hecke und sah dann, dass meine Freundinnen noch auf der anderen Seite standen. Kurz nachdem ich die Hecke durchquerte, schlug ein Polizist mit dem Schlagstock auf mich ein. Auf mein Knie, meinen Ellenbogen und meine Hüfte. Ich habe weder etwas zu ihm gesagt, noch habe ich mich gewehrt. Als ich perplex schon wieder ein paar Meter von ihm entfernt stand, kam er noch ein mal auf mich zu und stieß mich.
Es war mir völlig unerklärlich. Ich wurde noch nie zuvor in meinem Leben geschlagen und hätte nicht damit gerechnet, dass mir dies durch eine staatliche Institution passieren würde. Da begann mein Vertrauen in den Rechtsstaat langsam zu bröckeln, wobei ich zu diesem Zeitpunkt noch eher vom Versagen einer Einzelperson ausging. Ich versuchte mir zu erklären, wieso das passiert ist. Es war so zusammenhangslos, fast vergleichbar mit einem Krampusrummel.
Nachdem ich mich gesammelt hatte, erkannte ich den Beamten wieder. Ich überlegte hinzugehen, um nach seiner Dienstnummer zu fragen, doch das traute ich mich nach dieser Gewalterfahrung nicht mehr. Außerdem beobachtete ich schon zuvor, dass Dienstnummern angefragt, aber nicht ausgegeben wurden. Also filmte ich den Beamten von Weitem. Meine Freundinnen, von denen eine nur den Stoß gesehen hatte und die andere auch die Schläge, liefen zu mir und fragten, ob es mir gutgehe.
Nachdem die Polizei den Park verließ, konnte endlich die Kundgebung stattfinden. Als wir in der Wiese saßen und den Redebeiträgen lauschten, mein Schock sich langsam verzog, begannen das Knie und der Ellbogen zu schmerzen. Am Knie war zu diesem Zeitpunkt ein roter Fleck zu sehen. Am Heimweg konnte ich mich nur mehr humpelnd fortbewegen. In der Nacht konnte ich kaum schlafen, da jede Bewegung starken Schmerz in meinem Knie auslöste.
In der Früh fuhr ich ins Krankenhaus - mir wurden ein geprelltes Knie, ein Hämatom am Ellbogen und eine Schürfwunde am Finger diagnostiziert.
Mit der Ambulanzkarte fuhr ich dann mit meiner Mutter zur Polizeiinspektion und ich machte eine Anzeige wegen Körperverletzung gegen den Polizisten. Ich gab dort auch meine zwei Zeuginnen an. Die Beamtin, die mich vernahm, war verhältnismäßig freundlich, aber trotzdem war es eine sehr unangenehme Situation, bei der selben Institution Anzeige zu erstatten, die mich geschädigt hatte.
„Wir führen Sie als Opfer und Zeugin und der Beschuldigte ist ein Kollege.“
Trotzdem war ich mir zu diesem Zeitpunkt noch sicher, dass die Institutionen für Gerechtigkeit sorgen würden. Das Knie schmerzte noch einige Tage stark, außerdem war ich sehr schreckhaft und hatte Albträume. Zwei Tage nach der Anzeige klingelte es um 8 Uhr in der Früh. Ich öffnete die Tür und sah drei Polizisten. Sie fragten mich, ob ich die sei, die einen Polizisten angezeigt hat. Ich war sehr verunsichert und fragte, warum sie hier sind. Sie meinten, die Kollegin, die die Anzeige aufnahm, habe vergessen meine Telefonnummer zu
notieren und sie sind nun (zu dritt) hier um sie aufzuschreiben. Mir kam das sehr merkwürdig vor, einer Person, die gerade Polizeigewalt erfahren hat, drei Polizisten zu schicken, wo man ja auch genauso gut eine meiner Zeuginnen (deren Nummern sie jedenfalls hatten) danach fragen oder sie auf andere Art und Weise herausfinden hätte können.
Ein paar Tage später wurde meine erste Zeugin vernommen. Sie ging leider allein zu der Vernehmung. Das erste, was der Polizist sie fragte: was sie als Mutter an einem Samstag Nachmittag auf einer Demo mache, vor allem alleinerziehend - solle sie sich mal besser um ihre Kinder kümmern. Sie wurde anschließend eingeschüchtert und es wurde ihr mit 700€ Strafe gedroht, wenn sie irgendetwas sagt, bei dem sie sich zwar sicher ist, was aber nicht der objektiven Wahrheit (bzw. der Vorstellung des vernehmenden Beamten) entspricht. Es wurden Dinge aufgeschrieben, die sie nicht gesagt hat. Als sie fragte ob bestimmte Äußerungen gelöscht werden könnten, lehnte der Beamte ab. Sie unterschrieb, aufgrund mangelnder Willenskraft, eingeschüchtert die Aussage.
Als ich davon erfuhr, war ich sehr schockiert und beschloss mir eine Anwältin zu nehmen. Ich konsultierte Frau Dr.in Alexia Stuefer. Diese machte eine Akteneinsicht. Der Beamte wurde ausgeforscht und vernommen. Er erklärte, er habe zwar mehrmals den Schlagstock eingesetzt, allerdings nicht gegen eine Frau, eventuell habe er mich „das Mädchen“ gestoßen.
Meine Anwältin war sich sehr sicher, die Staatsanwaltschaft würde Anklage erheben, doch diese stellte das Verfahren am 14.07 ein. Wir forderten die Begründung der Einstellung. In der Zusammenfassung erwähnt die Staatsanwaltschaft nur die Aussage der Zeugin, die nur den Stoß gesehen hat. Weiters nimmt sie die Aussage des Beschuldigten als Fakt hin. Obwohl dieser der einzige ist, der hier rechtlich lügen darf (nemo tenetur) und auch aus Selbstschutz einen Grund hätte zu lügen. Es wird von der Staatsanwaltschaft angenommen, ich sei im „Tumult zu Sturz gekommen“, (also gestolpert?) und hätte mir dabei meine Verletzungen zugezogen. Im nächsten Satz wird dann aber doch von „verhältnismäßiger und notwendiger Körperkraft“ seitens der Polizei gesprochen.
Weiters schreiben sie explizit, dass sie mir (und somit auch meiner Zeugin) keine Verleumdung unterstellen, sondern dass ich subjektiv die Körperkraft (des Tumults?) wohl als „Misshandlung“ wahrgenommen habe. Weder in der Aussage des Beschuldigten, noch in meiner, noch der meiner Zeuginnen, wird von einem Sturz gesprochen. Den hat sich die Staatsanwaltschaft selbst ersponnen und begründet auf diesem aber ihre Einstellung.
Ich verstehe nicht warum von Misshandlung (sogar mit Anführungszeichen)
gesprochen wird. Es war kein Stolpern, keine bloße Misshandlung, schon garnicht mit Gänsefüßchen, sondern eine absichtliche Körperverletzung eines anscheinend überforderten und aggressiven Polizeibeamten, der in dieser Situation nicht mehr im Stande war, rational und rechtens zu handeln.
Und ich finde es fast noch frecher, mir zu unterstellen, so verwirrt zu sein, mein eigenes Stolpern mit Schlagstockschlägen zu verwechseln, (weil scheinbar die Aussage EINES beschuldigten Polizisten mehr Wert ist als ein Krankenhausbericht und drei Zeuginnenaussagen) - als wenn sie mir und meinen Zeuginnen Verleumdung vorgeworfen hätten.
Meine Anwältin reichte in meinem Auftrag einen Fortführungsantrag ein. In jenem wird angeführt, dass die Entscheidung der Anklagebehörde nicht nachvollziehbar ist: „Eigene kontrafaktische tatsächliche Schlüsse zu ziehen, die weder auf die Aussage der Zeuginnen noch des Beschuldigten (der Tätlichkeiten ja nicht abstreitet!) rückführbar sind, ist willkürlich.“
Begründung des Fortführungsantrags: "Die Einstellung ist angesichts des (nicht bestreitbaren) Tatverdachts (=Person schlägt, Oper verletzt, Opfer sah schlagende Person, Staatsanwaltschaft wurde Sachverhalt zur Kenntnis gebracht) gesetzwidrig und unerträglich (iSd § 195 Abs. 1 Z 2 StPO)."
Kurz nach Einbringung des Antrags tauchte ein Video in Filmqualität auf. Auf dem Video ist zu sehen, wie der von mir identifizierte Polizist mich grundlos mehrmals schlägt. Aber nicht nur mich, sondern eigentlich jede*n, der ihm ins Sichtfeld gerät. Das Video wurde natürlich umgehend als Beweis eingereicht.
Der oben zitierte Fortführungsantrag wurde jedoch auch schleunigst abgewiesen. Sowohl von der Staatsanwaltschaft, als auch vom Gericht. Die Begründung wurde einfach, ohne auf die Punkte des Antrags einzugehen, nochmals kopiert.
Auf die Einbringung des Videos kam keine Antwort. Meine Anwältin brachte jenes Video und einen weiteren Antrag nun als letzten Versuch bei der
Oberstaatsanwaltschaft ein. Auch von dieser gibt es bis dato keine Stellungnahme.
Ich glaube nicht, dass ich nach meiner Erfahrung noch einmal gewillt wäre, Anzeige gegen die Polizei zu erstatten. Gebracht hat es mir Einschüchterung, Zeit-, Kraftraub und finanzielle Kosten. In ähnlichen Fällen führen Anzeigen gegen die Polizei außerdem häufig zu Gegenanzeigen und somit zu noch mehr Einschüchterung, Kosten und sogar Existenzängsten. Gleichzeitig finde ich es enorm wichtig, nicht einfach darüber zu schweigen. Es ist keine Option es der Exekutive noch einfacher zu machen und Gewalt unbeantwortet zu lassen.
Ich möchte in diesem Zuge gerne das „Antirepressionsbüro“ erwähnen. Es gibt bis Dato keine polizeiexterne Beschwerdestelle für Misshandlungsvorwürfe gegen Organe der Sicherheitsexekutive. Obwohl eine solche Instanz notwendig ist und schon lange gefordert wird. Der Verein zur Dokumentation von staatspolitischen Handlungen im privaten und öffentlichen Raum alias „das Antirepressionsbüro“ tut mit ihrer Polzeigewaltmeldestelle einen ersten Schritt in diese Richtung. Du kannst auf der Homepage: www.antirepressionsbuero.at anonym Polizeigewalt melden.
Diese Meldungen werden in einer gesicherten Datenbank gesammelt und nach der deskriptiv-statistischen und qualitativen Auswertung anonymisiert in einem jährlichen Bericht über Polizeigewalt veröffentlicht. Den Verein gibt es seit März und leider wissen noch nicht viele Menschen davon. Das Antirepressionsbüro leistet auch Bildungsarbeit und bietet Selbsthilfegruppen für Polizeigewaltbetroffene, da nicht jedeR, die*der es braucht, sich eine Therapie leisten kann.
Laut Justizministerium wurden im Jahr 2020, 349 Fälle von Misshandlung. Ich als Opfer, habe von diesem gemeinnützigen Verein mehr Unterstützung als von der Exekutive und Justiz bekommen und es ist mir ein großes Anliegen, diese Tatsache in die Welt zu tragen.
Die Person, die diesen Artikel geschrieben hat, möchte anonym bleiben.