von Tim.
Die Polizei hat die Aufgabe das Gewaltmonopol des Staates auszuüben und als bewaffneter Arm jeweils geltende Gesetze durchzusetzen. Doch auch das Informieren über Straftatbestände gegen den Staat und Privatpersonen gehört zu ihren Kernverpflichtungen. Diese Informationsaufgabe wird gewöhnlich durch Presseabteilungen, Kommunikationsbeauftrage und in Zeiten der Digitalisierung auch durch Social-Media Teams der Polizei selbst ausgeübt.
Dabei gilt die Polizei auch bei Journalist*innen als ‚privilegierte Quelle‘ - dies bedeutet, dass Informationen der Polizei grundsätzlich mehr Vertrauen entgegen zu bringen ist als anderen Quellen, aber auch dass ohne aufwendige Überprüfung der Fakten, Aussendungen von polizeilichen Pressestellen wörtlich übernommen werden dürfen (Wellendorf, 20221). Dies ist aus vielerlei Hinsicht kritisch zu betrachten, wie auch an jüngsten Ereignissen ersichtlich ist. Das Aussenden dieser Pressemitteilungen erfolgt im Rahmen der Transparenz und erfüllt ein allgemeines Informationsbedürfnis, aber geschieht dennoch ausschließlich polizeiintern ohne externe Prüfung und rein auf Basis der Berichte der Polizeibeamt*innen vor Ort.
Dass hier mehrere Bias am Wirken sind, ist wenig verwunderlich. Die Befangenheit der beteiligten Polizist*innen, sowie der stark ausgeprägte Korpsgeist im Umfeld der Polizei, machen eine kritische Berichterstattung der polizeilichen Maßnahmen sehr unwahrscheinlich. Klares Fehlverhalten der Polizei wird oftmals übergangen, schöngeredet oder in einen anderen Kontext gesetzt. So jüngst gesehen bei der Räumung des Lobau-Camps, wo ein Polizeisprecher aussagte, dass Polizist*innen durch Aktivist*innen verletzt worden seien, sich jedoch im Nachhinein aufgrund von eines Beweisvideos herausstellte, dass die Verletzungen durch einen Polizisten selbst verursacht worden war, der sein Pfefferspray gegen den Wind einsetzte und sich dabei selbst schadete (Hofer, 20222).
Hieran lässt sich auch die Gefahr ableiten, die sich aus der Zuschreibung als ‚privilegierte Quelle‘ ergibt. Im medialen Diskurs können diese Aussendungen als Tatsachen betrachtet werden, die im entscheidenden Maße zur öffentlichen Meinungsbildung beitragen. So könnte nach solchen Aussagen der friedliche Protest von Klimaaktivist*innen zu einem gewaltbereiten, extremistischen Geschehen gedeutet werden und dem entsprechend auch eine gesellschaftliche Verurteilung erfolgen, die der Realität zwar nicht entspricht, aber entscheidend die öffentliche und politische Meinungsbildung beeinflusst. In diesem Kontext wirken auch die jüngsten Geschehnisse in Berlin am Anfang des Monats noch viel schwerer:
Zur kontextualen Einkleidung lässt sich zusammenfassen, dass es zu einer rassistisch motivierten Gewalttat von mehreren nicht maskentragenden Menschen gegen eine migrantisch gelesene, maskentragende Frau kam (Süddeutsche Zeitung, 20223). In der polizeilichen Aussendung, die später wortwörtlich von der medialen Berichterstattung übernommen wurde, war allerdings die Rede von einer jungen Frau, die Aufgrund ihrer Weigerung eine Maske zu tragen von einigen Männern verprügelt wurde.
Die Ursache des Streites wurde auf das Fehlen der Maske bezogen und dahingehend entscheidend umgedeutet, sodass rassistische Gewalt dadurch relativiert wurde. Nicht nur musste die junge Frau im Krankenhaus behandelt werden und verarbeiten, dass sie Opfer eines rassistischen Angriffs wurde, sondern sie sah sich auch in zahlreichen Medienberichten fälschlicherweise als Corona-Leugnerin dargestellt. Zu einer Aufklärung des Sachverhalts kam es erst, als die Betroffene selbst auf Social-Media ihre Perspektive auf das Geschehene kundtun konnte und die betreffenden Polizeistellen einige Tage später eine Korrektur veröffentlichten.
In diesem Fall wurde der Corona-Leugner*innenszene eine passende Opfergeschichte geliefert, gleichzeitig rassistische Gewalt systematisch verschwiegen und das Opfer diffamiert, sodass es selbstmächtig eine Korrektur einfordern musste - ein herber Schlag für eine demokratische Grundordnung. Es ist bewundernswert, dass die junge Frau die Kraft und Ressourcen hatte, selbst aktiv zu werden und den Sachverhalt zu korrigieren und somit auf dieses Problem aufmerksam zu machen.
Und natürlich ist neben der Polizei, die eine unqualifizierte Presseaussendung herausschickte, auch die mangelnde Überprüfung der Medien zu kritisieren, jedoch darf nicht zu wenig hervorgehoben werden, dass die Polizei als staatliche Akteur*in in den Diensten der Allgemeinheit, die Aufgabe zukommt, qualifizierte und genügend recherchierte Berichte über die eigene Arbeit auszusenden, die als Informationsquelle der Allgemeinheit gewissen journalistischen Standards zu genügen haben.
Schließlich verfügt fast jede größere Polizeidienststelle über Social-Media Accounts - wie Twitter - von denen diese Aussendungen ungefiltert und scheinbar ungeprüft veröffentlicht werden und wo sich viele Menschen über die polizeilichen Maßnahmen ihrer Stadt informieren können. Die Polizei Wien allein erreicht auf Twitter 200.000 Personen (X/Twitter, 20224). Dabei ist zu erwarten, dass in einem rein polizeiinternen Prozess die Überprüfung von inhaltlicher Kohärenz und der objektiven Richtigkeit der Informationen leiden kann, vor allem wenn die polizeilichen Amtshandlungen selbst fehlerhaft ausgeführt wurden. Dem entsprechend wäre es wichtig, dass die Pressestellen der Polizei eine stärkere Überprüfung ihrer internen Aussendungen anstreben, am besten durch kritische und polizei-externe Stellen.
Dies würde vielleicht den Prozess verlangsamen, aber auch verhindern das in Zeiten von Fake News gefährliche und falsche Informationen ausgesendet werden, deren Korrektur wiederum nicht alle erreichen kann, falls es überhaupt zu einer Korrektur kommt. Durch intensive Überprüfung der Maßnahmen und Berichte vor der Presseaussendung wären auch die Beamt*innen im Einsatz stärker dazu angehalten ihre Macht nicht zu missbrauchen und es könnte Polizeigewalt vorgebeugt werden.
Darüber hinaus würde durch die geschaffene Transparenz mehr Druck auf die Polizei ausgeübt werden können, da interne Probleme in der Polizei schneller erkannt und öffentlich angesprochen werden können. Dies würde auch die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in die Polizei erhöhen, was der Polizei langfristig zu gute käme.
Deshalb fordert das Antirepressionsbüro neben einer umfassenden, zugänglichen und unabhängigen Dokumentationsstelle für Polizeigewalt (Polizeimeldestelle), eine stärkere Überprüfung von polizeilichen Presseaussendungen und den zugrundeliegenden Berichten, sodass die Polizei zu Recht auch als ‚privilegierte‘ Quelle angesehen werden könnte.
Zum Weiterhören:
- Wellendorf, S. (2022): Wieviel Recherche muss sein bei Polizeimeldungen? – Interview mit Olaf Sundermeyer. Deutschlandfunkt. Aufruf am 12.02.2022: https://www.deutschlandfunk.de/wieviel-recherche-muss-sein-bei-polizeimeldungen-interview-mit-olaf-sundermeyer-dlf-635e300b-100.html ↩︎
- Hofer, S. (2022): Pfefferspray durch Lobau-Aktivisten? Polizei rudert zurück. Puls 24. Aufruf am 12.02.2022: https://www.puls24.at/news/chronik/pfefferspray-durch-lobau-aktivisten-polizei-rudert-zurueck/255869 ↩︎
- Süddeutsche Zeitung (2022): Polizei gibt Fehler bei Darstellung eines rassistischen Angriffs zu. Auruf am 12.02.2022: https://www.sueddeutsche.de/politik/rassismus-berlin-polizei-1.5525346 ↩︎
- X (früher Twitter): Landespolizeidirektion Wien. Stand: 12.02.2022. https://x.com/LPDWien ↩︎