Dieser Artikel ist zum 1. Mal als Gastbeitrag in der Vorneweg (Magazin der KJÖ, Ausgabe: 2/2022) erschienen. Hier möchten wir euch den Artikel auch online zur Verfügung stellen.
Warum beschäftigen wir uns mit der Polizei? In den letzten Jahren häufen sich weltweit Medienberichte über unverhältnismäßige Polizeigewalt. Auch in Österreich ist ein Anstieg von Gewalttaten seitens der Exekutive zu beobachten. In Erinnerung ist uns allen z.B. der Angriff auf Jugendliche am Karlsplatz unter dem fragwürdigen Vorwand, es würden sich “amtsbekannte Menschen aus dem linksradikalen Spektrum”1 darunter befinden2 oder der Einsatz im Zuge der Kundgebung im Votivpark am 1. Mai 2021.3 Für die massive und scheinbar wahllose (Waffen-)gewalt beim Einsatz, sowie mangelnde behördliche Aufarbeitung, erntete die Polizei unter anderem scharfe Kritik von Amnesty International.4 Erfreulicherweise wurden dieses Jahr auch einige Gerichtsprozesse betreffend unverhältnismäßiger Polizeigewalt gewonnen, unter anderem von Aktivist:innen der Umweltbewegung.5 Doch warum geht die Polizei dermaßen brutal und scheinbar gezielt gegen spezifische Gruppen vor? Hat Polizeigewalt System? Rolle der Polizei im Staat Die Rolle der Polizei im Staat ist es, die herrschende Ordnung zu sichern. Das bedeutet bei einer oberflächlichen Betrachtung, die Einhaltung der Gesetze zu überwachen und Übertretungen zu melden sowie die Gesetzesbrecher:innen sicherzustellen. Die offenkundige Ungleichbehandlung dabei regt allerdings dazu an, zu fragen, in wessen Interesse diese Gesetze eigentlich sind. Viel wichtiger noch - welche Gesetze mit polizeilicher Gewalt besonders geschützt werden. In der marxistischen Staatstheorie wird der Staat erst notwendig, sobald es verschiedene Klassen mit widersprüchlichen Interessen innerhalb einer Gesellschaft gibt.6 Der Staatsapparat (Militär, Gerichte, Polizei) befindet sich somit in der Hand der herrschenden Klasse und vertritt daher auch deren Interessen. Neben der Überwachung der Bevölkerung und dem Eingreifen bei Gesetzesbruch ist eine andere Aufgabe der Polizei auch, durch ihre Präsenz abschreckend zu wirken. In diesem Sinne können unberechenbare polizeiliche Gewaltausschreitungen auch als Teil einer Abschreckungsstrategie gedeutet werden. Vielschichtige Betroffenheit Von dieser Strategie besonders betroffen sind bereits im Kapitalismus an den Rand gedrängte Gruppen wie Migrant:innen, Frauen oder beeinträchtigte Menschen. Bereits vor über 20 Jahren gab es nach der Ermordung von Marcus Omofuma einen nationalen Aufschrei: Dem jungen Mann wurde bei seiner Abschiebung „zur Beruhigung“ durch Beamte der Kopf und Mund mit einem Klebeband zugeklebt.7 Rassistisch motivierte Morde und Misshandlungen sind auch in Österreich kein Einzelfall.8 Racial/Ethnic Profiling, also die willkürliche Personenkontrolle aufgrund der Hautfarbe oder Religion, stellt auch in Österreich ein Problem dar.9 Der Umgang der Polizei mit Frauen in Gewaltsituationen steht ebenfalls in der Kritik: Im „besten“ Fall wird Ihnen nicht geglaubt, im schlimmsten werden sie re-traumatisiert oder weiter misshandelt.10 Der Mensch steht bei der Verteidigung der Werte der herrschenden Klasse nicht im Mittelpunkt - das spiegelt sich auch in der Gesetzgebung wider. Schutz für Eigentum, nicht für Menschen Der Klassencharakter des österreichischen Staates wird am jeweiligen Strafmaß für verschiedene Delikte deutlich. So werden Eigentumsdelikte wie Diebstahl oder Sachbeschädigung häufig härter bestraft als leichte Körperverletzung oder sogar Vergewaltigung. So kann etwa Graffiti nach §125 StGB als Straftat geahndet und mit bis zu 6 Monaten Freiheitsstrafe bestraft werden. Sexuelle Nötigung gemäß §201 StGB kann mit einem vergleichbaren Strafmaß einhergehen (6 Monate bis 5 Jahre Freiheitsstrafe) - wenn das Verbrechen denn überhaupt als solches ernst genommen wird. Im Kapitalismus ist nun einmal Eigentum mehr wert als die Unversehrtheit des Menschen und dessen Würde - was sich auch aus der Geschichte der Polizei erkennen lässt. Die Geschichte der Polizei Die Polizei besteht in der Form und Funktion wie wir sie kennen erst seit dem frühen 19. Jahrhundert - also mit dem Aufstieg der Nationalstaaten und des Kapitalismus. Besonders ersichtlich wird der Charakter und die Rolle der Polizei während des Austrofaschismus und Nationalsozialismus in Österreich: Bereits 1933-1938 gab es eigene Polizeistellen zur Verfolgung politischer Gegner:innen. Die kurz davor gegründeten Sicherheitsdirektionen leiteten den faschistischen Polizeistaat. Sicherheitsdirektoren konnten polizeiliche Anhaltung ohne konkreten Grund und ohne gerichtliches Verfahren aussprechen. Sozialdemokrat:innen, Kommunist:innen, Gewerkschafter:innen, aber auch Nazis wurden in Anhaltelager wie das in Wöllersdorf geschickt. Während es den Faschisten wichtig war, den Anschein eines Rechtsstaates zu erhalten, setzten sie ihre Herrschaft vor allem durch die Polizei durch. Ein Schema, dass man bis heute im Verhältnis zwischen Staat und Polizei sieht - und das zeichnet sich auch heute im Verhalten der Exekutive ab.11 Das Gewaltmonopol des Staates und der Polizei 2022 hat die Polizei ihre Ausgaben zur Aufstockung des Personals und der Ausrüstung um rund 80 Millionen € erhöht. Unter anderem hat die österreichische Polizei nun sieben statt vier Panzer und im Rahmen des Anti-Terrorpakets 2.000 Ausrüstungen Köperschlagschutz, 430 Schutzwesten, 2250 Sturmgewehre, 1.320 Bodycams und ein Bombenfahrzeug erhalten.12 Während der Staat hier 3,25 Milliarden für Sicherheit ausgibt, besitzen die wenigsten Bürger:innen eine Waffe oder lernen, wie man damit umgeht. Das bedeutet, dass es in Österreich ein Gewaltmonopol gibt. Das spiegelt sich auch rechtlich wider: Bei einer 2015 durchgeführten Studie kam es bei 1.500 Anzeigen von Polizeigewalt zu keiner einzigen Verurteilung.13 “Gewalttaten” gegenüber der Polizei hingegen, wie das “anfurzen” eines Polizisten, werden nach einer Strafminderung mit 100€ Geldstrafe geahndet.14 Grundsätzlich gilt, wer eine:n Polizist:in auch nur im geringsten verletzt - egal, ob absichtlich oder unabsichtlich - hat mit einer Anzeige aufgrund schwerer Körperverletzung zu rechnen. Wie könnte eine gewaltfreie Welt aussehen? Offensichtlich wird ein Unterschied gemacht, wenn dem Staat Gewaltmissbrauch vorgeworfen wird. Die Dokumentation solcher Missbrauchsvorwürfe und die Sichtbarmachung des Problems stellt einen wichtigen Teil zur Lösung des Problems dar. Aber kann es eine Gesellschaft ohne Polizeigewalt geben? Für eine kurzfristige Verbesserung der Situation von Frauen, die in Gewaltverhältnissen leben und sich keine Hilfe durch die Polizei erwarten können, wird in manchen Communities auf das Mittel der transformativen Arbeit gesetzt: Die Aufarbeitung der Gewalterfahrungen innerhalb der Communities in Zusammenarbeit mit den Betroffenen aber auch mit den Tätern steht im Fokus dieser Form der Arbeit.15 Mittelfristig muss es eine Reflexion über die Rolle der Polizei und eine damit einhergehende Umwälzung von Finanzmitteln geben: Mit dem Budget der österreichischen Polizei könnten nachhaltige Sozialprojekte und tausende von Sozialarbeiter:innen zum Einsatz kommen, die tatsächlich bei der Lösung von gesellschaftlichen Problemen behilflich sein könnten, anstatt mit Angst zu regieren. Ziel unseres revolutionären Kampfes muss sein, die Polizei zu einem demokratisch kontrollierbaren Organ zu machen, dessen Funktionsträger:innen abwählbar sind und dessen Aufgabengebiete ebenso zur demokratischen Debatte stehen. Langfristig wird das Ziel eines Lebens ohne Polizei und Polizeigewalt jedoch nur in einer klassenlosen Gesellschaft zu erreichen sein.
Quellen: 1) https://www.puls24.at/news/chronik/eskalation-zwischen-polizei-und-feiernden-jugendlichen-am-karlsplatz/235951 2) https://www.derstandard.at/story/2000127170297/polizei-raeumte-party-am-karlsplatz-und-wurde-mit-flaschen-beworfen 3) siehe unser Bericht: die Polizei sieht rot am 1. Mai 4) https://www.amnesty.at/media/9272/gutachten-im-auftrag-von-amnesty-international_jaenner-2022_polizeigewalt-bei-mayday-demo-1-mai-2021.pdf 5) https://www.diepresse.com/6047577/eine-klimademo-mit-folgen-zwei-polizisten-verurteilt?from=rss. Ein ausführlicher Bericht dazu wurde vom Prozessreport verfasst: https://prozess.report/prozesse/verurteilung-polizeigewalt/ 6) Engels, Friedrich 1884: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, S. 131ff. 7) https://www.profil.at/oesterreich/20-todestag-marcus-omofuma-10770556 8) https://www.profil.at/oesterreich/blacklivesmatter-toedliche-polizeigewalt-auch-in-oesterreich/400929920 9) Grabovac, D.; Millner, C. (2015): Zur Kritik des Ethnic/Racial Profiling in der Polizeiarbeit. In: Juridikum 3/2015; Verlag Österreich; S. 321-330; https://www.juridikum.at/archiv/juridikum-32015/ 10) https://www.meinbezirk.at/c-politik/taeter-polizeibekannt-dennoch-kein-schutz-fuer-frauen_a483929 11) Siehe dazu auch unseren ausführlichen Artikel zur Geschichte der Polizei: https://antirepressionsbuero.at/2022/04/04/knapp-500-jahre-recht-und-ordnung/ 12) https://bmi.gv.at/news.aspx?id=7A6E5A3539763551654C6F3D 13) ALES (Austrian Center for Law Enforcement Sciences) (2018): Studie über den Umgang mit Misshandlungsvorwürfen gegen Exekutivbeamte; S. 51f; www.justiz.gv.at/file/2c94848a66ede49101671cc760ff1142.de.0/ales%20studie%20endfassung%20nov18.pdf?forcedownload=true 14) https://www.derstandard.at/story/2000125654754/verwaltungsgericht-kuerzte-strafe-fuer-absichtlichen-furz 15) https://www.transformativejustice.eu/de/