von Vedrana und Marija.
Der 25.11. ist der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen. An diesem Tag wurden seit Beginn des Jahres 2021 bereits 29 Morde an Frauen registriert (Die Presse, 20211) und damit weit mehr als an Männern (Hagen, Ruep, Scherndl, 20212; Leonhard, 20213). Mittlerweile (wir schreiben den 18.12.2021) wurde bereits zwei weitere Frauen nur aufgrund ihres Geschlechts von einem Mann ermordet. 2018 waren es sogar 41 Morde. In keinem anderen Land der EU wird vergleichbares verzeichnet (Leonhard, 20214; Bunke, 20215). Kein Wunder also, dass bereits International über die erschreckende Statistik berichtet wird. In den Deutschen Medien wird Österreich „Gefährliches Pflaster für Frauen“ genannt (Leonhard, 20216). Doch wie ist Österreich zum Land der Frauenmorde geworden?
Neben den herkömmlichen Gründen, warum es zu Gewalt an Frauen kommt, wie wirtschaftliche Unsicherheit und ein gesellschaftlicher Backlash, z.B. durch die Erstarkung der Rechten und Konservativen, gibt es speziell in Österreich eine weitere Grundlage für die hohe Zahl von Gewaltakten an Frauen: das Versagen von staatlichen Behörden und Institutionen (Sauer, 20217). Gesetze gäbe es genug, um die Frauen vor gewalttätigen Partnern, Familienmitgliedern oder Bekannten zu schützen. Doch die Exekutive und Justiz reagieren entweder gar nicht oder zu spät (Meine Bezirk, 20218). Von Seiten der Justiz äußert sich das in der hohen Zahl von eingestellten Anzeigen mit über 50% und einer extrem geringen Verurteilungsrate von nur 10% (Sauer, 20219). Die Polizei ist dabei ebenso wenig hilfreich. Ein Großteil der Frauen, die von Gewalt betroffen sind, melden sich aus Scham oder Angst nicht bei den Behörden - und das zurecht. Ihre Sorgen und Anschuldigungen stoßen nämlich auf taube Ohren. Viele der Täter von Frauenmorden sind bereits polizeibekannt. Doch die Täter werden, trotz Vorstrafen und Wegweisungen, wieder auf freien Fuß gesetzt und die Frauen wieder zu ihren gewalttätigen Männern nach Hause geschickt. Falls sich Frauen bei der Polizei melden, weil sie sich bedroht fühlen oder bereits Gewalt erfahren haben, wird ihnen in vielen Fällen nicht geglaubt. Das äußert sich in abgewiesenen Anträgen auf einstweilige Verfügungen und Zeug:innen, denen nicht geglaubt wird. In manchen Fällen wird ganz klassisch eine Täter-Opfer-Umkehr angewendet oder es wird den Frauen gesagt, dass sie sich die Gewalt nur einbilden. Hilfs- und Beratungsorganisationen für betroffene Frauen führen mitunter die mangelnden Schulungen, das fehlende Personal, sowie fehlendes Geld und die mangelnde Zusammenarbeit für den Missstand in der österreichischen Polizei an (Sauer, 202110; Mein Bezirk, 202111). Doch das Problem ist viel tiefer in der Polizei verankert. Das zeigen die aktuellen Fälle, in denen Polizisten selbst zu Tätern bei Femiziden wurden. So etwa der Fall eines mörderischen Beamten aus der Steiermark, der seine schwangere Partnerin sowie das gemeinsame Kind mit seiner Dienstwaffe erschoss (Kleine Zeitung, 201612). Als Motiv für die Tat gab er “Eifersucht” an. Ein weiterer Polizist in Baden erschoss zuerst seine Freundin und danach sich selbst (OE24, 202113). Auch im Jahr 2021 wurde eine Frau in ihrem Haus in Niederösterreich tot aufgefunden. Ihr Partner, ein Polizist, erdrosselte seine Verlobte (Der Standard, 202114). Das sind nur drei der Fälle, in denen die Mörder gestanden haben und die in Folge dessen juristisch und/oder medial aufgearbeitet werden konnten. Darunter etwa der nach wie vor ungeklärte Fall, einer seit dem Jahr 2018 vermissten Wienerin (Reibenwein, 201915). Die Ermittlungen gegen den Hauptverdächtigen - ihren Partner und Sohn eines Polizisten - wurden zwar eingestellt, da keine Beweise gefunden wurden. Dennoch deutet einiges auf eine Entführung bzw. Einen Femizid hin: ihr Partner war nicht nur der letzte, der sie gesehen haben soll, sondern aus ihrer Wohnung wurden auch lediglich ein Koffer (groß genug um einen Menschen darin zu transportieren) und eine Decke entwendet. Die Ortungsdaten des Mobiltelefons des jungen Mannes zeigten, dass er (bzw. sein Telefon) sich am Tag ihres Verschwindens in Waldgebieten im Wald- und Weinviertel aufhielt. Dass die Frau sich selbst umgebracht oder weggelaufen sei, wurde im Zuge der Ermittlungen bereits ausgeschlossen (ORF, 201916). Auch wenn hier freilich die Unschuldsvermutung gilt, bleibt dennoch ein ungutes Gefühl bei dem Gedanken, dass die ermittelnde Instanz ein Motiv hätte, eine Tat - für die es Indizien gäbe - zu verschleiern. Die Beteiligung von Polizeibeamten an Frauenmorden sagt an sich schon einiges über das vorherrschende Frauenbild und das vorhandene patriarchale Aggressionspotenzial in der Polizei aus. Doch der jüngste Vorfall ist beispielhaft für darüber hinausgehende strukturelle Probleme im Polizeiapparat, die Gewalt an Frauen befördern und die rechtskräftige Verurteilung von Tätern erschweren. Die Leiche einer seit mehreren Wochen vermissten Frau wurde im Keller der Wohnung, die sie zusammen mit ihrem Lebensgefährten bewohnte, gefunden. Der 64-jährige Mann sei verschwunden (Die Presse, 202117). Es drängt sich die Frage auf, warum die gemeinsame Wohnung erst 10 Tage nach der Vermisstmeldung der Frau durchsucht worden war - und somit dem mutmaßlichen Mörder genug Zeit gelassen wurde, Spuren zu beseitigen und sich zu verstecken bzw. außer Reichweite der Behörden zu bringen. Wie sich später herausstellte, war die Frau erstickt worden (Salzburg24, 202118). Das Auto des Mörders wurde unterdessen am Flughafen Wien gefunden, er wird im Ausland vermutet. Gewalt an Frauen und deren Gipfel - Femizide - stellen in Österreich ein massives Problem dar. Die erwiesene (patriarchale) Gewaltbereitschaft in den Reihen der Polizei sowie ihre Nachlässigkeit bei der Aufklärung von Gewalttaten im Zusammenhang mit Frauenhass zeigen aber auf, dass der Hinweis, sich doch einfach an die Polizei zu wenden, kein effektives Mittel gegen Femizide ist - im Gegenteil. Stattdessen bräuchte es, echte Gleichstellung und Unabhängigkeit für Frauen. Dies würde neben mehr Frauenrechten, vor allem aber bedeuten, dass auch die Rechte von Sexarbeiterinnen, Prostituierten, LGBTIQ-Personen und vor allem von Frauen mit Behinderungen, die überproportional oft von Gewalt in Beziehungen betroffen sind, gestärkt werden müssten (Stokowski, 202119). Für solche Veränderungen bräuchte es hauptsächlich Geld: Frauen- und Gewaltpräventionsorganisationen haben ausgerechnet, dass es für eine effektive Gewaltprävention rund 210 Millionen Euro jährlich brauchen würde (Sauer, 202120). Das scheint viel Geld zu sein, doch nicht zu vergleichen mit den entstehenden Kosten und dem Leid der Frauen und Kinder, wenn weiterhin so zahlreichen Gewalttaten nicht die notwendigen Maßnahmen entgegen gesetzt werden. Es fehlt schlicht an einer österreichweiten Strategie gegen Gewalt an Frauen (Sauer, 202121; Kiesenhofer, Gärtner, 202122) - und vor allem fehlt der politische Wille, das Problem ernst zu nehmen . Das benötigte Geld könnte in effektive und nachhaltige Projekte gegen Gewalt an Frauen gesteckt werden. Wie zum Beispiel das zivilgesellschaftliche Projekt “StoP – Stadtteile ohne Partnergewalt” (https://stop-partnergewalt.org/), dass in Zusammenarbeit mit Communities versucht Männern beizubringen, Konflikte ohne Gewalt auszutragen. Das Therapieangebot für Betroffene von Polizeigewalt aber auch für Täter müsste massiv ausgebaut und vor allem entstigmatisiert und für alle frei zugänglich gemacht werden (Stokowski, 202123). Desweiteren müsste das Geld auch in Schulungen, entwickelt in Zusammenarbeit mit betroffenen NGO´s, für Polizei und Justiz gesteckt werden (Stokowski, 202124; Sauer, 202125). Der im Internet verbreitete Frauenhass und Sexismus müsste ebenso mit den Geldern bekämpft werden, wie auch Förderungen für alleinerziehende Frauen am Wohnungsmarkt eingerichtet werden müssten. Dadurch könnte Frauen eine echte Unabhängigkeit ermöglicht werden und würde ihnen den Ausstieg aus Gewaltbeziehungen erleichtern (Stokowski, 202126). Seit vergangenem Jahr weist die “NiUnaMenos”(=NichtEineWeniger)-Bewegung auch in Wien auf das Problem patriarchaler Gewaltstrukturen hin, indem nach jedem Frauenmord am Karlsplatz demonstriert wird. Dadurch wird das auch im internationalen Vergleich beachtliche Ausmaß der Frauenmorde in Österreich sichtbar, was ein wichtiger Schritt ist, um Bewusstsein für das Problem zu schaffen. Es hat sich gezeigt, dass die herkömmliche Funktionsweise von Polizei und Rechtsstaat keine effektiven Mittel sind, um Gewalt gegen Frauen zu verhindern. Die patriarchalen Strukturen, die ursächlich für Gewalt gegen Frauen sind, sind tief in der österreichischen Gesellschaft verankert und werden durch die (ohnehin inkonsequente) Strafverfolgung von Tätern alleine nicht gelöst. Stattdessen brauchen wir eine Wende hin zu geschlechtersensibler Strafverfolgung und vor allem auch mehr finanzielle Mittel für Gewaltprävention (Kiesenhofer, Gärtner, 202127).
- Die Presse (2021): 29 tote Frauen – Femizide in Österreich, Die Presse; https://www.diepresse.com/6065819/29-tote-frauen-femizide-in-osterreich ↩︎
- Hagen, L.; Ruep, S.; Gabriele Scherndl, G. (2021): Femizide in Österreich: Land der toten Frauen, Der Standard; https://www.derstandard.at/story/2000126439940/femizide-in-oesterreichland-der-toten-frauen ↩︎
- Leonhard, R. (2021): Tödliches Pflaster für Frauen, TAZ; https://taz.de/Femizide-in-Oesterreich/!5788248/ ↩︎
- Leonhard, R. (2021): Tödliches Pflaster für Frauen, TAZ; https://taz.de/Femizide-in-Oesterreich/!5788248/ ↩︎
- Bunke, Ch. (2021): Die Gefahr wächst, junge Welt; https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/artikel/411074.patriarchale-gewalt-die-gefahr-w%C3%A4chst.html?sstr=femizide ↩︎
- Leonhard, R. (2021): Tödliches Pflaster für Frauen, TAZ; https://taz.de/Femizide-in-Oesterreich/!5788248/ ↩︎
- Sauer, B. (2021): Frauenmorde in Österreich: „Die staatlichen Behörden schützen Frauen* nicht”, mosaik; https://mosaik-blog.at/frauenmorde-gewalt-oesterreich/ ↩︎
- Mein Bezirk (2021): Täter polizeibekannt, dennoch kein Schutz für Frauen; https://www.meinbezirk.at/c-politik/taeter-polizeibekannt-dennoch-kein-schutz-fuer-frauen_a4839292 ↩︎
- Sauer, B. (2021): Frauenmorde in Österreich: „Die staatlichen Behörden schützen Frauen* nicht”, mosaik; https://mosaik-blog.at/frauenmorde-gewalt-oesterreich/ ↩︎
- Sauer, B. (2021): Frauenmorde in Österreich: „Die staatlichen Behörden schützen Frauen* nicht”, mosaik; https://mosaik-blog.at/frauenmorde-gewalt-oesterreich/ ↩︎
- Mein Bezirk (2021): Täter polizeibekannt, dennoch kein Schutz für Frauen; https://www.meinbezirk.at/c-politik/taeter-polizeibekannt-dennoch-kein-schutz-fuer-frauen_a4839292 ↩︎
- Kleine Zeitung (2016): Steirischer Polizist tötet schwangere Freundin und Sohn; https://www.kleinezeitung.at/kaernten/chronik/5098223/Vermisste-Kaerntnerin_Steirischer-Polizist-toetet-schwangere ↩︎
- OE24 (2021): Polizist erschoss sich nach Mord an Freundin; https://www.oe24.at/oesterreich/chronik/wien/polizist-erschoss-sich-nach-mord-an-freundin/498245872 ↩︎
- Der Standard (2021): Fahndung nach Polizist, der seine Partnerin getötet haben soll, dauert an; https://www.derstandard.at/story/2000130604718/fahndung-nach-polizist-der-seine-frau-getoetet-haben-soll-dauert ↩︎
- Reibenwein, M. (2019): Fall Scharinger: Ermittlungen eingestellt, Polizei sucht weiter, Kurier; https://kurier.at/chronik/niederoesterreich/fall-scharinger-ermittlungen-eingestellt-polizei-sucht-weiter/400494271?fbclid=IwAR1SnRx62UrUgsDWeXq0WlQfQpghm2vCOlhu-XhrIt4gZQrTDqJawbwU1Fk ↩︎
- ORF (2019): Fall Jennifer S. offenbar kurz vor Klärung; https://wien.orf.at/v2/news/stories/2959661/?fbclid=IwAR1bZNCDXdmpfjCbu5HdVi9xlk4S8dzGF1Jej437ZhZrfQbmQA85AG08Ujk ↩︎
- Die Presse (2021): Frau tot in Wiener Keller gefunden: Fahndung nach Lebensgefährten; https://www.diepresse.com/6068312/frau-tot-in-wiener-keller-gefunden-fahndung-nach-lebensgefaehrten ↩︎
- Salzburg24 (2021): Tote Frau in Wiener Keller wurde erstickt; https://www.salzburg24.at/news/oesterreich/tote-frau-in-wiener-keller-wurde-erstickt-113344966 ↩︎
- Stokowski, M. (2021): Zehn Schritte, um morde an Frauen zu verhindern, Spiegel; https://www.spiegel.de/kultur/was-tun-gegen-femizide-kolumne-von-margarete-stokowski-a-6c623166-4472-4c0a-b80e-f772611ec64a ↩︎
- Sauer, B. (2021): Frauenmorde in Österreich: „Die staatlichen Behörden schützen Frauen* nicht”, mosaik; https://mosaik-blog.at/frauenmorde-gewalt-oesterreich/ ↩︎
- Sauer, B. (2021): Frauenmorde in Österreich: „Die staatlichen Behörden schützen Frauen* nicht”, mosaik; https://mosaik-blog.at/frauenmorde-gewalt-oesterreich/ ↩︎
- Kiesenhofer, L.; Gärtner, P. (2021): Femizide: Mordkriminalität an Frauen ist systemisch – Interview mit Isabel Haider vom Institut für Strafrecht und Kriminologie, Universität Wien; https://medienportal.univie.ac.at/uniview/wissenschaft-gesellschaft/detailansicht/artikel/femizide-mordkriminalitaet-an-frauen-ist-systemisch/ ↩︎
- Stokowski, M. (2021): Zehn Schritte, um morde an Frauen zu verhindern, Spiegel; https://www.spiegel.de/kultur/was-tun-gegen-femizide-kolumne-von-margarete-stokowski-a-6c623166-4472-4c0a-b80e-f772611ec64a ↩︎
- Stokowski, M. (2021): Zehn Schritte, um morde an Frauen zu verhindern, Spiegel; https://www.spiegel.de/kultur/was-tun-gegen-femizide-kolumne-von-margarete-stokowski-a-6c623166-4472-4c0a-b80e-f772611ec64a ↩︎
- Sauer, B. (2021): Frauenmorde in Österreich: „Die staatlichen Behörden schützen Frauen* nicht”, mosaik; https://mosaik-blog.at/frauenmorde-gewalt-oesterreich/ ↩︎
- Stokowski, M. (2021): Zehn Schritte, um morde an Frauen zu verhindern, Spiegel; https://www.spiegel.de/kultur/was-tun-gegen-femizide-kolumne-von-margarete-stokowski-a-6c623166-4472-4c0a-b80e-f772611ec64a ↩︎
- Kiesenhofer, L.; Gärtner, P. (2021): Femizide: Mordkriminalität an Frauen ist systemisch – Interview mit Isabel Haider vom Institut für Strafrecht und Kriminologie, Universität Wien; https://medienportal.univie.ac.at/uniview/wissenschaft-gesellschaft/detailansicht/artikel/femizide-mordkriminalitaet-an-frauen-ist-systemisch/ ↩︎